Die Wand des letzten Saals der Ausstellung „Von der Gotik bis zum Jugendstil“ im Schlossmuseum Rundāle, der dem Jugendstil gewidmet ist, schmückt ein ovales Porträt in goldenem Rahmen, das eine junge Frau in einem weißen Kleid zeigt. Es ist das Porträt der Rigenserin Martha Bärnhoff, Ende des 19. Jahrhunderts gemalt von der deutschbaltischen Malerin Mathilde Pohrt.
Wie der Text „Martha Baernhoff./geb. 20. Mai 1876./gest. 21. October 1894“ auf der Rückseite der Leinwand zeigt, ist das Modell sehr jung gestorben. Die Unterschrift mit Datierung „M. Pohrt/1895“ der Künstlerin am rechten Außenrand des Ovals hingegen belegt, dass das Porträt erst nach dem Tod des Mädchens entstand, wahrscheinlich beauftragt von der um die verlorene Verwandte trauernden Familie. Auch die Komposition und die Umrahmung des Porträts zeugen davon, dass eine Fotografie dem Gemälde als Vorlage diente.
Über das Modell dieses Kunstwerks ist nur sehr wenig bekannt: Martha Henriete Bärnhoff (1876–1894) wurde in Riga geboren, in der Kirche zu St. Jakobs getauft und starb im Alter von 18 Jahren in Riga. Ihre Eltern waren Heinrich Bärnhoff (1839 oder 1840–1881), Jurist, Notar am Handelsgericht Riga und Sekretär des Konsistoriums der Stadt Riga, und seine Lebensgefährtin Marija, geb. Saring. Über die Künstlerin ist in der örtlichen Presse jedoch etwas mehr zu finden.
Mathilde Pohrt (1849–1934), wurde in Rauna (Ronneburg) als sechstes Kind von Uno Wilhelm Pohrt (1813–1876) und seiner Frau Johanna Maria, geb. Langewitz (1814–1887), geboren. Der Großvater der Künstlerin, Johann Pohrt (1771–1834), war Pfarrer in Tirza (Tirsen) und Trikāta (Trikaten), ebenso ihr Bruder Johann Eduard Pohrt (1842–1904), der in Nītaure (Nitau) und Rauna diente. Ihr Vater hatte Mathematik an der Universität Tērbata (Tartu, Dorpat) studiert, wo der berühmte deutsche Astronom und Direktor der Sternwarte Dorpat Friedrich Georg Wilhelm von Struve sein Dozent war, der ihn später auch als Mechaniker am neu gegründeten Pulkowo-Observatorium in Russland einstellte. Später verwaltete Uno Wilhelm Pohrt eine Zeit lang das Gut Bānūži (Kudling), führte als Mitglied der lutherischen Gemeinde Skujene (Schujen) richterliche Pflichten im Verwaltungskreis aus und wurde zum Miteigentümer der Eisengießerei „Rosenkranz & Co“.
Ihre erste künstlerische Ausbildung erhielt Mathilde Pohrt in Riga, möglicherweise bei der Gründerin der privaten Schule für Malerei Elise von Jung-Stilling, bevor sie sich in Dresden und Düsseldorf weiterbildete. Da die bedeutendsten deutschen Kunstakademien im 19. Jahrhundert keine weiblichen Studenten aufnahmen, beriet Mathilde Pohrt sich mit dem deutschbaltischen Maler und Professor der Düsseldorfer Kunstakademie Eduard von Gebhardt, der ihr seinen Studenten, den im religiösen Genre tätigen Maler Louis Feldmann, als Lehrer empfahl.
Bereits in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts sind in der Presse die ersten Nachrichten über Mathilde Pohrts Teilnahme an örtlichen Ausstellungen zu finden, doch eine aktivere berufliche Tätigkeit nahm sie erst in den darauffolgenden Jahrzehnten auf. Nach ihrem Auslandsstudium lebte und arbeitete die Künstlerin in Riga, gab Mal- und Zeichenunterricht, fertigte Auftragsgemälde an, war im Kunsthandwerk tätig und beteiligte sich an örtlichen Ausstellungen. Obwohl in der Literatur nicht selten angegeben ist, dass Mathilde Pohrt sich im künstlerischen Bereich hauptsächlich mit Porträtmalerei beschäftigte und Aufträge nicht nur in Lettland, sondern auch in Deutschland ausführte, so sind darüber heute wenig Informationen zu finden und das einzige bekannte Beispiel ist das im Schlossmuseum Rundāle erhaltene Porträt der Rigenserin Martha Bärnhoff. Mehr Informationen gibt es über ein anderes ihrer Tätigkeitsfelder – die religiöse Malerei.
1895 stellte Mathilde Pohrt in den Räumen des Rigaschen Kunstvereins ihr erstes selbstkomponiertes Altargemälde „Christus vor Pontius Pilatus“ aus. Der Kunstkritiker der „Düna Zeitung“ bewertete es relativ zurückhaltend und schrieb: „Die Künstlerin hat sich hier eine solche Aufgabe gestellt, die für Dilettanten [wie sie] sicherlich schwierig zu meistern ist, da gerade die religiöse Malerei, mit der wir bislang nur Künstler [Männer] sich haben beschäftigen sehen, an diese die höchsten Anforderungen stellt. Mit solchen Ansprüchen dürfen wir dieses Gemälde natürlich nicht betrachten.“ (18. März 1895, Nr. 64) Trotz dieser sehr kritischen Bewertung kam das Altargemälde schon bald in der Kirche Mehikoormas (Mehikorm) am estnischen Ufer des Peipussees unter. Obwohl das Gotteshaus im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, wurde das Gemälde bis heute im Eigentum der Gemeinde erhalten, während eine 1912 von der Künstlerin für die Kreuzkirche in Riga angefertigte Kopie in den Kriegsjahren zerstört wurde.
Es ist bekannt, dass Mathilde Pohrt noch Altargemälde für weitere lutherische Kirchen im Baltikum schuf, sowohl nach Vorlagen anderer Künstler als auch Originalkompositionen. Das für die Lutherkirche in Riga gefertigte Gemälde ist verschwunden, doch noch heute sind ihre Werke in den Kirchen Mazsalaca (Salisburg), Sāti (Sahten) und Pāvilosta (Paulshafen) zu betrachten.
1929 widmete die Rigaer Zeitung „Die Woche im Bild“ Mathilde Pohrt zum 80. Geburtstag einen Artikel, in dem das einzige bekannte Fotoporträt von ihr publiziert und mehrere Gemälde reproduziert wurden, was davon zeugt, dass auch die Genre-Malerei in ihren Interessenbereich fiel.
Der oder die ursprüngliche(n) Aufbewahrungsort(e) des von Mathilde Pohrt gemalten Porträts Martha Bärnhoffs sind nicht bekannt, bevor es 1964 zusammen mit 61 anderen Gemälden auf Anweisung des Kulturministeriums der Lettischen Sowjetrepublik vom Hilfsfonds des damaligen Staatlichen Museums der bildenden Künste (heute das Kunstmuseum „Rigaer Börse“, das zum Nationalen Kunstmuseum gehört) zur Interieurausschmückung im Schloss Rundāle an das Heimatkundemuseum Bauska übergeben wurde.
Bei der Aufnahme in die Museumskollektion war es bereits in ziemlich gutem Zustand, sodass eine aufwändige Restauration nicht notwendig war. 1998 wurde es zur Ausstellung hergerichtet: oberflächliche Verunreinigungen wurden entfernt, mit Keilen die Deformierung der Unterlage aufgehoben sowie die Stellen, an denen die Farbschicht abblätterte, stabilisiert und getönt.
Von 2008 bis 2009 war das Gemälde in der Ausstellung „Porträt des 19. Jahrhunderts in Lettland“ des Schlossmuseums Rundāle ausgestellt. Derzeit ist es in der dekorativen Kunstausstellung „Von der Gotik bis zum Jugendstil“ zu sehen.
Verfasserin: Dr. art. Baiba Vanaga
20.05.2024