Porträts von Caroline und Christian von Keyserling

Im September 2019 erwarb das Schlossmuseum Rundāle bei einer Versteigerung des Auktionshauses „Schloss Ahlden“ zwei Porträts aus der Sammlung einer deutschen Adelsfamilie – in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gefertigte Pastelle in original klassizistischen Rahmen. Darauf sind bedeutende Persönlichkeiten des Königsberger Kulturlebens zu sehen: die Gräfin Caroline Charlotte Amalie von Keyserling, geb. Gräfin Waldburg, und ihr Ehemann, der in Kurland geborene Christian Heinrich von Keyserling.

Der Musenhof in Königsberg

Bei der Suche nach Informationen über die beiden Modelle dieser Kunstwerke wurde recht bald deutlich, dass heutzutage Caroline von Keyserling (1727–1791) als die bedeutendere der beiden hervorgehoben wird – der deutsche Philosoph der Aufklärung Immanuel Kant bezeichnete sie als „Perle des weiblichen Geschlechts“, während der Komponist Johann Friedrich Reichardt sie als „großartige, königliche Frau“ beschrieb. Die in Königsberg geborene Caroline heiratete 1744 den Grafen Gebhard Johann von Keyserling (1699–1761) aus Kurland und nach seinem Tod 1763 in zweiter Ehe seinen Neffen Christian Heinrich von Keyserling (1727–1787). Christian Heinrich war in Lesten geboren und hatte Staatswissenschaften und Philosophie in Leipzig und Halle studiert; er wurde zum Diplomaten und Offizier im Dienst sowohl Österreich-Ungarns als auch des Russischen Reiches, schrieb journalistische Texte und war Kunstmäzen.

Fragment des Porträts von Christian Heinrich von Keyserling
Fragment des Selbstporträts von Caroline von Keyserling

 

 

 

 

 

 

 

 

1755 kaufte Carolines erster Mann das Barockpalais auf dem Vorderroßgarten in Königsberg von Graf Albrecht Ernst von Schlieben, das während des Siebenjährigen Krieges (1756–1763) zum wichtigsten Treffpunkt der Stadt wurde. Dort versammelten sich sowohl die besten Wissenschaftler und hervorragendsten Künstler als auch preußische und russische Militaristen und Aristokraten. Später baute Christian Heinrich das Herrenhaus zu einem Schloss um und richtete es mit wertvollen Möbeln, Tapeten und Gemälden „im französischen Geschmack“ ein. Im Park wurde ein separates Gebäude für Theateraufführungen erbaut. Der von Caroline geleitete Salon wurde Musenhof genannt; darin waren die Philosophen Immanuel Kant, Johann Georg Hamann und Christian Jakob Kraus, der Komponist Johann Friedrich Reichardt, der Organist Karl Gottlieb Richter, der Schriftsteller Theodor Gottlieb von Hippel und andere große Persönlichkeiten zu Gast. Auf dem Weg aus den baltischen in die westeuropäischen Staaten kehrten dort auch Vertreter des deutschbaltischen Adels ein.

Es finden sich Quellen, laut denen Immanuel Kant Carolines Söhne aus erster Ehe – Carl Philipp Anton (1745–1794) und Albrecht Johann Otto (1747–1809) – auf Schloss Waldburg-Capustigall unterrichtete, dem außerstädtischen Familiensitz nahe Königsberg (heute Pribreschny (Прибрежный) in Kaliningrad). Johann Friedrich Reichardt wiederum lehrte Caroline die Laute; sie musizierte oft zusammen mit seinem Sohn und wird in der Literatur neben Christiana Mariana von Ziegler und Luise Adelgunde Gottsched als eine der besten deutschen Lautenspielerinnen des 18. Jahrhunderts genannt.

Von der Verbindung der Keyserlings mit Immanuel Kant zeugt auch ein Artikel in der Rigaer „Düna Zeitung“ aus dem Jahr 1901 (Nr. 42, 20. Feb.), der den Livländer und Kurländer gewidmet ist, die Briefwechsel mit dem berühmten Philosophen hatten. Auch Christian Heinrich von Keyserling wird darin erwähnt als „sehr gebildeter Mensch, der auch als politischer Schriftsteller tätig war“. Der anonyme Autor behauptet, es seien mehrere Briefe von Christian Heinrich an Immanuel Kant bekannt, deren Aufbewahrungsort er jedoch nicht nennt. Er zitiert lediglich ein längeres Fragment aus einem am 29. Dezember 1782 in Blieden geschriebenen Brief, in dem mehrere politische Neuigkeiten ausführlich beschrieben werden und auch die Reise des kommenden russischen Zaren Paul I. durch Kurland nach Westeuropa erwähnt wird.

Familienanwesen in Kurland

Herrenhaus des Guts Groß-Blieden. Fotografie aus den dreißiger Jahren des 20. Jh. Wissenschaftliches Archiv des Schlossmuseums Rundāle

Die Familie Keyserling besaß mehrere Güter in Kurland. Laut einigen Quellen wurde Gebhard Johann von Keyserling in Blieden geboren; ihm gehörte auch das Gut Ligutten (Ligute). Christian Heinrich von Keyserling hingegen wurde in Lesten geboren, wo er auch seine Kindheit bei seiner Großmutter verbrachte; später lebte er sowohl in Königsberg als auch in Blieden. Auch Caroline von Keyserling hielt sich manchmal in Kurland auf. Eines dieser Male war im Jahr 1780, als Anfang September der Kammerjunker und Reisemarschall des Herzogs Peter von Kurland, Heinrich von Offenberg, auf dem Gut Groß-Blieden zu Gast war. In seinem Zeichnungs- und Autogrammalbum, das bis heute in der Sammlung ausländischer Kunst des Lettischen Nationalen Kunstmuseums erhalten ist, haben auch die Gutseigentümer Caroline und Christian Heinrich von Keyserling unterschrieben.

Wie der Faksimileherausgeber von Offenbergs Album, Otto Clemen, erforscht hat, hat im Oktober desselben Jahres auch der Begleiter des preußischen Prinzen, Ernst Ahasverus Graf von Lehndorff, seine Unterschrift im Album hinterlassen. Es ist bekannt, dass der preußische Kronprinz und spätere König Friedrich Wilhelm II. 1780 auf dem Weg nach Sankt Petersburg sowie auf dem Rückweg in Jelgava (Mitau) einkehrte, wo ihn der Herzog Peter von Kurland freundlich aufnahm. Quellen belegen, dass der Kronprinz Friedrich Wilhelm in Begleitung Herzog Peters Jelgava am Morgen des 23. Oktober verließ, um später im kurz zuvor errichteten Lustschloss des Guts Groß-Pönau (Lielpienava) zu frühstücken, welches später den Namen Friedrichslust erhielt. Zu Mittag speiste der Kronprinz bei den Grafen Keyserling im Gut Groß-Blieden, bevor er in Saldus (Frauenburg) übernachtete und am nächsten Abend Liepāja (Libau) erreichte. Möglicherweise schlossen sich in Blieden auch die Keyserlings den Weggefährten des Kronprinzen an, denn bereits am 29. Oktober aß Friedrich Wilhelm erneut mit ihnen zu Mittag – dieses Mal jedoch in ihrem Heim in Königsberg.

Die Güter Groß-Blieden (Blīdene) und Klein-Blieden (Mazblīdene) gehörten der Familie Keyserling von 1716 bis 1816, danach kaufte sie der Bruder der Herzogin Dorothea von Kurland, Johann (Jeannot) Christoph Friedrich Medem von Gut Elley (Eleja). Von 1829 bis 1830 wurde das stattliche Schloss Blieden (Pilsblīdene) im Stil des Empire erbaut. Detaillierte Nachrichten über den Bau des Herrenhauses auf Gut Groß-Blieden konnten wir leider nicht finden, doch im wissenschaftlichen Archiv des Schlossmuseums Rundāle sind einzelne historische Fotografien erhalten.

Urheberschaft der Porträts

Fragment des Porträts von Christian Heinrich von Keyserling mit Aufschrift und Datierung der Autorin

Informationen über die beiden abgebildeten Personen finden sich auf den originalen vergoldeten Holzschnittrahmen, die oben mit dem Relief einer stilisierten Blattgirlande mit eingeflochtenem Band verziert sind und in den unteren Ecken mit Rosetten. Im Zentrum der Unterkante ist eine Fläche für den Text ausgearbeitet. Beim Kauf dieser Werke für die Museumssammlung war keine Information über den Urheber der Pastelle vorhanden, sie wurden als Arbeiten eines unbekannten deutschen Künstlers aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gekauft.

Als die Neuerwerbungen im Schlossmuseum Rundāle ankamen, stellte sich heraus, dass sich auf der rechten Seite beider Gemälde – auf der blauen Stuhllehne hinter dem Rücken des Modells – eine ausgeblichene Aufschrift befindet, die erst nach dem Herausnehmen aus dem verglasten Rahmen beim Beginn der Restaurationsarbeiten lesbar wurde. Die Botschaft in französischer Sprache ist auf beiden Porträts fast identisch: “peint par Car[o]l[ine] Ameli C[om]tesse de Keyserling neé Truchsess du St. E. R. C[om]tesse de Waldbourg 1778”. Die Pastelle wurden also schon 1778 gemalt, und die Autorin ist eine der porträtierten Personen selbst: Caroline von Keyserling, geborene Gräfin Waldburg.

Caroline von Keyserling

Die „Sammlung kurzer Reisebeschreibungen und anderer zur Erweiterung der Länder- und Menschenkenntniß dienender Nachrichten” (Berlin, 1783) des bedeutenden Schweizer Astronomen und Mathematikers Johann Bernoulli, Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften, beinhaltet auch eine ausführliche Biografie des Christian Heinrich von Keyserling.

Caroline von Keyserling. Bild von https://de.wikipedia.org/wiki/Caroline_von_Keyserling

Gegen Ende merkt der Autor an, dass er nicht viel über Christian Heinrichs zweite Frau Caroline erzählen kann, jedoch bemerkt habe, dass sie ebenfalls die Wissenschaft und die Kunst liebt: “Es ist von dieser Dame bekannt, daß sie eine vertraute Freundin der Musen und eine einsichtsvolle Liebhaberin der Wissenschaften ist. Sie ist Verfasserin verschiedener Schriften und Aufsätze, die aber ohne ihren Namen herausgekommen sind. Sie zeichnet und malt nach dem Urtheil der Kenner vortreflich sowohl in Pastel als mit Oel- und Wasserfarben; sticht auch im Kupfer.” Caroline war offensichtlich eine für ihre Zeit sehr gebildete Frau, die sich für Philosophie und Naturwissenschaften interessierte, mit Publizistik beschäftigte, mindestens ein Buch aus dem Französischen übersetzte und zudem musizierte, zeichnete und malte.

Über Caroline von Keyserling als Künstlerin ist nur sehr wenig bekannt. Es finden sich keine Informationen über ihre Ausbildung; nur Hinweise darauf, dass sie Arbeiten von Nicolaes Berchem, Adriaen van der Werff und anderen Künstlern kopierte und geschichtliche sowie religiöse Miniaturen malte. Johann Bernoulli habe die Sammlung der von ihr gemalten Porträts bewundert; doch andere Quellen berichten, dass sich im Archiv des preußischen Schlosses Rautenburg sowohl ihre Dokumente als auch zwei Mappen mit fast 200 Zeichnungen befunden hätten. Darauf seien mehrere Herrscher europäischer Staaten zu sehen und andere bekannte Persönlichkeiten, darunter Immanuel Kant, Johann Bernoulli und selbst die Herzogin von Kurland. Doch heutzutage sind bei der Suche im Internet nur wenige Bilder zu finden: das 1755 gemalte Porträt von Immanuel Kant, welches das früheste Bildnis des Philosophen sein soll, ein Porträt ihres ersten Ehemannes Gebhard Johann von Keyserling und einige Selbstporträts.

Von der Wertschätzung ihrer Zeitgenossen für Caroline von Keyserlings künstlerische Schöpfungen zeugt die in der Literatur oft wiederholte Tatsache, dass sie 1786 auf Empfehlung des namhaften Grafikers und Illustratoren Daniel Chodowiecki als Ehrenmitglied in die Königliche Preußische Akademie der Künste aufgenommen wurde.

Bisher wurden nur zu einigen bis heute in Museumssammlungen erhaltenen Zeichnungen Caroline von Keyserlings Hinweise gefunden, nicht jedoch zu Pastellen oder Ölmalerei, daher müssen die für die Sammlung des Schlossmuseums Rundāle gekauften Keyserling-Porträts als herausragende Neuerwerbungen bewertet werden.

 

Die Paarporträts der Keyserlings

Caroline von Keyserling, „Porträt der Gräfin Caroline von Keyserling“ (nach der Restauration). 1778. Pergament, Pastell. 64 x 48 cm

Die beiden von Caroline von Keyserling gemalten Porträts sind zweifellos als Paar konzipiert – nicht nur die prachtvollen Rahmen passen zueinander, sondern auch die Komposition und Tonalität, die gegenständliche Umgebung und selbst die Kleidung der Modelle. Im Selbstporträt hat Caroline sich als Künstlerin dargestellt, möglicherweise im in Familienbesitz befindlichen Schloss Rautenburg, wo die Familie ihre Sommer verbrachte und sie selbst ihre Werkstatt und eine umfangreiche Bibliothek besaß. Darauf lässt das im Hintergrund sichtbare Interieur schließen: der Bücherschrank, der Kopf und andere Fragmente einer bildhauerisch geschaffenen Skulptur auf dem Schrank sowie der Tisch mit Zeichen- und Malzubehör (Farben, Pinsel, Pastellkreide im Kästchen u. a.). Auf dem Tisch steht eine kleine weibliche Figur, die auch auf der Zeichnung auf der Staffelei zu sehen ist. Das Selbstbild der Künstlerin bestätigt die geöffnete Zeichnungsmappe in ihren Händen, in der die Umrisse eines weiblichen Porträts zu erkennen sind. Von ihrer Verbindung zur Musik und der Karriere als Lautenspielerin wiederum zeugt das zusammengerollte Notenblatt auf dem Tisch und das Lautenende hinter der Stuhllehne.

Fragment des Selbstporträts von Caroline von Keyserling
Fragment des Selbstporträts von Caroline von Keyserling

 

 

In der Werkstatt kann auch Luxus erahnt werden, darauf weisen die reich verzierte Wanduhr, das plastisch geformte Tischbein sowie Arm- und Rückenlehne des Stuhls hin. Trotzdem ist die Umgebung häuslich, gar intim, und diesen Eindruck vervollständigt der unter dem Tisch liegende Hund sowie die informelle Kleidung der am Tisch sitzenden Caroline – ein seidener Morgenrock und eine dünne Haube mit hellblauem Band, die die hohe Frisur bedeckt.

Caroline von Keyserling, „Porträt des Grafen Christian Heinrich von Keyserling“ (nach der Restauration). 1778. Pergament, Pastell. 64 x 48 cm

Ebenso herrscht im Porträt Christian Heinrichs eine ungezwungene, häusliche Atmosphäre, obwohl Caroline ihren Lebensgefährten unmissverständlich in seinem Studienzimmer vor einem dokumentenbepackten Regal als gebildete Person der Aufklärung dargestellt hat. Das Modell sitzt, in einen hellbraunen Morgenmantel mit Pelzsaum gehüllt, am Sekretär, auf dem eine Taschenuhr und Vermessungswerkzeug liegt – Winkelmesser, Lineal und Zirkel – sowie Dokumente, Briefe und ein Orden. Dieser ist die höchste Auszeichnung Polens, der Orden des Weißen Adlers, der für militärische und zivile Verdienste verliehen wurde. Nach den Aufzeichnungen von Johann Bernoulli empfing Christian Heinrich den Orden 1768. Auf dem Porträt ist sowohl das Ordenskreuz des Weißen Adlers auf dem hellblauen Band zu sehen, das sich unter dem Briefhaufen und dem rechten Ellbogen des Modells befindet, also auch der an die Brust geheftete Ordensstern.

Fragment des Porträts von Christian Heinrich von Keyserling

2019 restaurierte die Papier-, Leder- und Pergamentrestauratorin Ārija Ubarste die Paarporträts der Keyserlings. Sie entdeckte, dass diese nicht, wie zunächst angenommen, auf Papier gemalt wurden, sondern auf Pergament. Bei der Restaurierung wurden beide Pastelle mechanisch gereinigt, die Pergamentränder verstärkt und an den unteren Rahmen genagelt, die Farbpigmente gefestigt sowie ein Riss und Beschädigungen an den alten Nagelstellen mit japanischem Papier und Weizenstärkekleber ausgebessert. Die Werke wurden mit Pastellkreide getönt. Nach der Restauration wurden die Porträts wieder in die glanzvollen Originalrahmen gesetzt und im dem Klassizismus gewidmeten Raum der dekorativen Kunstausstellung „Von der Gotik bis zum Jugendstil“ des Schlossmuseums Rundāle ausgestellt.

Klassizismus-Raum der dekorativen Kunstausstellung „Von der Gotik bis zum Jugendstil“ des Schlossmuseums Rundāle

Verfasserin: Dr. art. Baiba Vanaga

 

 

20.05.2024

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