Sitzgondel im Stil des Empire aus dem Schloss Pawlowsk

Sitzgondel im Stil des Empire, gefertigt 1804 nach dem Entwurf von Andrei Woronichin. Sammlung des Schlossmuseums Rundāle

Die prachtvolle Sitzgondel im Empire-Stil ist in ihrer Form, mit ihren Holzschnitzereien und dem verwendeten Oberflächenmaterial einzigartig. Dieses Möbelstück wurde 1804 nach dem Entwurf des Architekten Andrei Woronichin (Андрей Воронихин, 1759–1814) für das Ankleidezimmer Maria Fjodorownas (Мария Фёдоровна, 1759–1828) im Schloss Pawlowsk hergestellt.

Die Sitzgondel kam 1986 in sehr schlechtem Zustand in den Besitz des Schlossmuseums Rundāle. Das Museum kaufte sie in Leningrad (dem heutigen Sankt Petersburg) von S. A. Schuster. Um das ursprüngliche Aussehen wiederherzustellen, führten die Restauratoren des Schlossmuseums Rundāle 1991 eine gründliche Restaurierung durch – sie fertigten die fehlenden Holzelemente neu an, retuschierten die Bemalung, erneuerten die Vergoldung und die Polsterung.

Vor der Restaurierung 1991
Fragment vor der Restaurierung 1991
Fragment vor der Restaurierung 1991

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Interieur des Ankleidezimmers Maria Fjodorownas im Schloss Pawlowsk

Die im Schlossmuseum Rundāle vorhandene Sitzgondel entspricht unzweifelhaft dem Möbeltyp, der nach den Entwürfen Andrei Woronichins nur für das Schloss Pawlowsk hergestellt wurde. Die originelle Form, die Verzierungen und die Oberflächenmaterialien zeugen von großartigem Stilgefühl und einer kreativen Vorstellungskraft. Für Andrei Woronichins Möbeldekorationen sind nicht Bronzeelemente, sondern Holzschnitzereien charakteristisch, die mit schwarzgrüner Farbe, ausgehärteter Bronze oder Vergoldung bedeckt sind.

Beim Skizzieren von Inneneinrichtungen stellte Andrei Woronichin diese oft in Aquarell dar. Möbel, Beleuchtungskörper, Stoffe und Vasen sind sehr detailliert dargestellt und selbst die geplanten Materialien sind zu erkennen. Entsprechend der damaligen Modetrends enthalten die Möbel bildhauerische Details, die aus antiken Kulturen übernommen wurden.

Unbekannter Künstler. Porträt des Architekten Andrei Woronichin. Vor 1811. Sammlung des Russischen Museums, St. Petersburg. Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Voronikhin.jpg

Der herausragende Architekt Andrei Woronichin ist einer der ersten Begründer des Empire-Stils in Russland. Er wurde 1759 in eine Familie Leibeigener des Grafen Alexander Stroganow (Александр Строганов) geboren. Mit seiner künstlerischen Begabung, Eifrigkeit und Neugier verdiente sich Andrei das Wohlwollen des Lehnsherren und lernte zunächst Malerei beim Ikonografiemeister Gawrila Juschkow (Гаврила Юшков), bevor Graf Stroganow den talentierten Jüngling 1777 nach Moskau schickte, wo er Malerei und Architektur bei berühmten Meistern wie Wassili Baschenow (Василий Баженов) und Matwei Kasakow (Матвей Казаков) lernte. 1786 erhielt der angehende Architekt einen Freilassungsbrief und wurde im Alter von 26 Jahren zu einem freien Menschen. Andrei Woronichin setzte seine Ausbildung im Rahmen von Studienreisen durch Europa fort. Nach seiner Rückkehr nach Russland 1790 erhielt er eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe: er sollte die Inneneinrichtung von Stroganows Schlossgalerie in St. Petersburg umgestalten, die ursprünglich Francesco Rastrelli entworfen hatte. Im Jahr 1800 erhielt Andrei Woronichin seinen Abschluss in Architektur, und schon 1802 wurde er zum Architekturprofessor.

Bei den anspruchsvollen Erneuerungsarbeiten in Stroganows Schlossgalerie hatte der junge Architekt bewiesen, dass er ein Meister seines Fachs war, und wurde zu einem gefragten Architekten. So betraute ihn die Witwe Kaiser Pauls I., Maria Fjodorowna, mit der Renovierung der Inneneinrichtung ihres Schlosses Pawlowsk nach dem Brand im Jahr 1803.

Bei der Erneuerung der Räume im zentralen Gebäude von Schloss Pawlowsk wollte der Architekt in einigen Sälen geringfügige Änderungen vornehmen und das Interieur mit Möbeln und dekorativen Elementen im Stil des Empire ergänzen. Er begründete eine neue Tendenz im Möbeldesign, die von anderen berühmten Architekten fortgesetzt wurde, und entwarf besondere Möbelparaden für Säle, die durch Feierlichkeit, Prunk und ungewohnte Verzierungen hervorstachen. Die Möbel für die Wohngemächer wiederum waren stilistisch viel einfacher – hier wurde mehr Wert auf Bequemlichkeit und Funktionalität gelegt. Die von ihm entworfenen Möbel sind künstlerisch durchdacht und harmonieren mit der restlichen Innenausstattung.

Maria Fjodorowna beauftragte die Möbelwerkstatt von Heinrich Daniel Gambs (Генрих Даниэль Гамбс, 1764–1831) mit der Fertigung der von Andrei Woronichin entworfenen Möbel. Diese war 1795 eröffnet worden und war im 19. Jahrhundert einer der führenden Möbelhersteller in Sankt Petersburg, außerdem hob sie sich durch sehr gute Qualität hervor. Der Meister verstand stets die Wünsche seiner Kunden und konnte auch die kompliziertesten Aufträge erfüllen, daher war die Werkstatt unter den Adeligen sehr beliebt. Als das Unternehmen wuchs, wurden Heinrich Gambs‘ Söhne zu Miteigentümern: 1828 Pjotr (Пётр Гамбс, 1802–1871) und 1830 Ernest (Эрнест Гамбс, 1805–1849). Die Brüder machten die Werkstatt zu einem riesigen Unternehmen mit vielen Mitarbeitern. Davon zeugt die Tatsache, dass Medaillen an 130 Meister der Firma verliehen wurden, die sich nach dem Brand 1837 an der Erneuerung des Winterpalasts beteiligten. Doch nicht nur die hervorragende Qualitätsarbeit festigte den guten Ruf des Unternehmens, sondern auch das Vermögen, die neuesten Modeerscheinungen und Stilrichtungen in die Möbelproduktion und das Design einzubeziehen. Die Firma begann als erste in Russland, Möbel im neogotischen Stil zu fertigen.

Wahrscheinlich wurde auch die Sitzgondel aus der Sammlung des Schlossmuseums Rundāle in Heinrich Gambs‘ Möbelwerkstatt hergestellt. Darauf weisen Dokumente hin, die besagen, dass die Imperatorin Maria Fjodorowna eine langjährige Kundin der Werkstatt war und ihr einen sehr großen Auftrag für das Schloss Pawlowsk erteilte, und zwar für die Inneneinrichtung der (privaten) Wohngemächer und somit auch des Ankleidezimmers, dessen Einrichtungsgegenstand dieses Möbelstück war.

Die Sitzgondel aus dem Schloss Pawlowsk ist ein leuchtendes Beispiel des russischen Empire. Sie ist in der dekorativen Kunstausstellung „Von der Gotik bis zum Jugendstil“ des Schlossmuseums Rundāle zu sehen.

Der Raum mit Kunstgegenständen im Stil des Empire in der Ausstellung „Von der Gotik bis zum Jugendstil“.

Verfasserin: Baiba Leitlante,
Restauratorin der Abteilung für wissenschaftliche Restaurierung des Schlossmuseums Rundāle

09.09.2021

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