Am 5. Dezember 2000 erhielt das Schlossmuseum Rundāle eine Schenkung von Benita von Egen – ein Armband mit einer Miniatur der Herzogin Dorothea von Kurland im Medaillon und einem Flechtwerk aus dem Haar von Graf Peter von der Pahlen (1824–1907).
Der Haareigentümer Peter von der Pahlen
Die Eltern Peter von der Pahlens (mit vollem Namen Peter Karl Johann) waren Graf Johann von der Pahlen (1784–1856), 1849–1856 Gutsherr in Kaucminde (Kauzmünde), und Gräfin Sophie Luise Medem (1798–1872) vom Gut Vecauce (Alt-Autz). Das in das Armband eingeflochtene Haar wurde dem jungen Peter etwa im Alter von sechs Jahren abgeschnitten, d.h. um 1830. Als Erwachsener wurde er zum fünften und einem der bedeutsamsten Eigentümer des Guts Kaucminde. 1859 trat er aus dem Militärdienst der russischen Garde aus und übernahm eine sehr heruntergekommene Wirtschaft mit 44 Gehöften, doch als guter Grundherr erhöhte er wesentlich das Einkommen des Guts, verbesserte die Lebensbedingungen der Bewohner und führte eine umfassende Rekonstruktion des Schlosses durch. Zusammen mit seiner Frau Luise von Behr von Schloss Ēdole (Edwahlen) ist Peter von der Pahlen im Park des Guts Kaucminde beerdigt.
Möglicherweise bat Peters Mutter oder ein anderer nahestehender Verwandter um die Anfertigung dieses Armbands, das als Familienrelikt vier Generationen lang im Eigentum der Familie blieb. Benita von Egen, geb. Gräfin von der Pahlen, die das Armband dem Schlossmuseum Rundāle vermachte, war die Enkelin von Graf Peter von der Pahlens Sohn Paul, die Tochter Arndt von der Pahlens (1896–1974).
Menschliches Haar in Schmuckstücken
Das Einarbeiten von menschlichem Haar in die verschiedensten Accessoires wurde im 19. Jahrhundert populär. Anfangs galt dies hauptsächlich dem Andenken an Verstorbene. Der Tod war damals viel näher am Alltagsleben, als wir es heutzutage gewohnt sind. Meistens verbrachten Sterbende ihre letzten Tage und Stunden zu Hause bei ihren Nächsten, wo auch die Bestattungszeremonie begann. Die gesellschaftlichen Vorstellungen von Trauer und ihrer Darstellung nach außen, vom langfristigen Andenken an einen nahestehenden Menschen und den Gegenständen, die dafür aufbewahrt wurden, unterschieden sich wesentlich von den heutigen. Zum Beispiel trug die englische Königin Victoria, nachdem sie zur Witwe geworden war, Haare ihres Gemahlen Prinz Albert für den Rest ihres Lebens in einem Medaillon um den Hals, noch 40 Jahre nach seinem Ableben. Das Tragen des Haars von Angehörigen auf diese oder andere Weise (in Ohrringen, Armbändern, Ansteckern, Kränzen u.a.) verbreitete sich auch außerhalb Englands stark und veränderte sich – es wurde nicht nur zu einem Symbol der Erinnerung, sondern auch zu einer Art Akzentuierung der Liebe und Zuneigung zu den nächsten lebenden Mitmenschen. Aus dem Haar mehrerer Menschen geflochtene Kränze konnten die Verbundenheit mit der Sippe über mehrere Generationen symbolisieren. Die „Haar-Accessoire-Kultur“ des 19. Jahrhunderts kennzeichnete auch eine zuvor nicht dagewesene Tendenz in der Modewelt – beim Schmuckdesign und den Tragegewohnheiten. Nach einer größeren Welle der Popularität verging sie aber mitsamt weiteren vorübergehenden Modeerscheinungen, auch deshalb, weil sich die gesellschaftliche Auffassung von Hygiene und Gesundheitsnormen änderte.
Das Porträt der Herzogin Dorothea von Kurland
Am Ende des Armbands, links von den vier Haarflechten, ist eine Miniatur eingearbeitet – das Porträt der Herzogin Dorothea von Kurland. Dieses wurde um 1790 nach Art Joseph Friedrich August Darbes‘ (1747–1810) erstellt. Darbes hatte in Kopenhagen studiert, in Russland, den Niederlanden, Deutschland und Kurland gearbeitet und war eine Vertrauensperson der berühmtesten kurländischen Herzogin Dorothea (1761–1821) und ihrer Schwester Elisa von der Recke. Die mögliche Auftraggeberin für das Armband, Sophie Luise Medem vom Gut Vecauce war mit Herzogin Dorothea verwandt: Sophie Luises Vater Graf Karl von Medem (1762–1827) war der Bruder der Herzogin Dorothea.
Das Armband ist im Raum „Herzogin Dorothea von Kurland und die Familie der Grafen Medem“ der Dauerausstellung des Schlossmuseums Rundāle zu sehen.
Verfasserin: Līva Daniniece,
Leiterin der Abteilung Sammlungen und Forschung
20.05.2024