Spielkarten im Schloss Rundāle

„Um die Damen zu unterhalten, schlug ich vor, Karten zu legen. Ich hatte wohl nicht die geringste Ahnung von dieser Beschäftigung, jedoch erheiterte mich die Möglichkeit, jeder Dame gemäß den gelegten Karten zu verkünden, welchen Eindruck ihre Reize auf die Person machte, die sie sich insgeheim vorgestellt hatte[1]“. (Elisa von der Recke, 3. Dezember 1791) 

Spielkarten sind schon von jeher als eine mitreißende Art der Unterhaltung bekannt, wenngleich sie nicht selten mit Abhängigkeit, ungezügelter Spielsucht und gar dem Verspielen von Haus und Hof in Verbindung gebracht werden.  In der lettischen Presse sind sie mindestens seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in verschiedenen Verkaufsanzeigen erwähnt, also wurden sie wohl schon früher verwendet[2]. In der Sammlung des Schlossmuseums Rundāle gibt es sowohl Karten, die man im Schloss gefunden hat, als auch solche, die in Auktionen erworben worden sind. Einen Teil dieser Sammlung kann man in der Ausstellung zur Geschichte des Schlosses im Sockelgeschoss und im Billardsaal im 2. Stock ansehen. 

Einblick in die Geschichte der Spielkarten 

Es ist nicht bekannt, wann genau Spielkarten nach Europa kamen, zudem gibt es mehrere Theorien, wie diese nach Europa kamen. Obgleich es Versuche gab zu beweisen, dass Spielkarten in Europa entstanden waren[3], ist doch die Mehrheit der Forscher der Meinung, dass deren Ursprung in Ostasien, konkret in China und Indien zu suchen ist. Eine der Herkunftstheorien berichtet, dass Spielkarten über Spanien nach Europa gekommen sind. Im Spanischen werden Spielkarten von jeher als ´naipes´ bezeichnet, auch im Italienischen ist eine der ältesten Bezeichnungen dafür ´naibi[4]. Diese Wörter sind etymologisch mit den hebräischen und arabischen Wörtern ´nabi´, ´naba´ und nabaa´ verwandt, die als Prophezeiung übersetzt werden[5]

An anderer Stelle wird das arabische Wort ´nā’ib´ erwähnt, was Stellvertreter oder Bevollmächtigter bedeutet (nā’ib malik – Vizekönig)[6] und auf Karten verweist, die in Ägypten gefunden worden waren und auf das 12. Jh. zu datieren sind.  Es gibt mehrere Hinweise darauf, dass Spielkarten in Europa bereits in der Mitte des 14. Jahrhunderts bekannt waren. Ein Großteil jener Nachweise steht im Zusammenhang mit Verboten. 1337 wurde in der Abtei Saint-Victor de Marseille den Mönchen durch einen Erlass verboten, Würfel, Karten und sogar Schach zu spielen. Ebenso ist ein vom tschechischen König Karl IV verhängtes Spielverbot in Böhmen bekannt. In der Schweiz kann ein 1367 in Bern ausgerufenes Verbot des “Gebetbuches des Teufels” als Beweis für die Existenz von Kartenspielen angesehen werden.  

Eins der interessantesten Zeugnisse ist eine Rechnung des Schatzmeisters des französischen Königs Charles VI über einen Auftrag für die Bemalung von Spielkarten aus dem Jahre 1392[7]. Im British Museum dagegen ist eine Kopie von 1472 eines Manuskriptes von 1377 eines deutschen Mönchs Johann aufbewahrt, das besagt, dass in seiner Stadt 1377 Spielkarten aufgetaucht seien, der Erfinder sei dem Schreiber jedoch nicht bekannt[8]. Ebenso sind in mehreren deutschen Ländern und Städten (Nürnberg, Augsburg, Ulm) Quellen aus dem 15. Jahrhundert zu finden, in denen nicht nur Hersteller, sondern auch malerische Gestalter von Kartenspielen aufgezählt sind[9]

In den ältesten Kartensätzen gab es zwei Kartentypen. Auf den ´Trionfi´ oder Trumpfkarten waren üblicherweise 21 oder 22 emblematische Figuren und Symbole abgebildet, unter ihnen ein König und eine Königin, ein Papst und eine Päpstin, der Tod, ein Schicksalsrad, Liebende, Sonne, Mond u.a.[10]. Der zweite Typ waren die sogenannten Zahlenkarten, die heutigen Karten ähnlicher waren. Ein voller Satz bestand aus 52 oder 56 Karten, auf diesen waren drei oder vier verschiedene Figuren abgebildet (meist ein König oder Herr, eine Königin oder Dame, ein Ritter oder Knappe) und Ziffern von eins bis zehn. Spätestens seit dem 15. Jahrhundert spielte man mit diesen Karten tarocchi oder Tarot (auf Französisch Tarot, auf Deutsch Tarock). Erst im 19. Jahrhundert begann man Tarot Karten (insbesondere den Teil mit den emblematischen Figuren) mit Vorhersagungen und Prophezeiungen in Zusammenhang zu bringen[11].

Der Holzschnitt, auch Xylografie genannt, spielte eine große Rolle bei der Anfertigung von Spielkarten. Er ist eine der einfachsten Grafiktechniken. Gleichzeitig wurden Karten auch von Hand bemalt, entweder aus freier Hand oder mithilfe von Schablonen, was die Vervielfältigung gleicher Symbole sehr vereinfachte. Interessanterweise gab es in Europa schon vor der Papierherstellung Spielkarten, und diese wurden aus unterschiedlichen Materialien hergestellt – aus Lederstreifen, Holztäfelchen, Elfenbein- oder Metallplatten und sogar aus getrockneten Blättern[12].

Mit der Zeit verbreitete sich eine eigene Manier für die Darstellung der Figuren auf Karten. Die Abbildungen wurden grotesk, sie wurden auf eine besondere Weise stilisiert, indem der Kopf und die Schulterpartie besonders betont wurden. Ursprünglich waren die Figuren in voller Körperlänge dargestellt, mit der Zeit setzten sich gespiegelte doppelseitige Bilder der oberen Körperhälfte durch. Dies beeinflusste das Halten der Karten auf der Hand, sie mussten nun nicht mehr gedreht werden. Möglicherweise waren die Franzosen die ersten, die den Figuren Namen von historischen oder mythologischen Personen gaben – David, Hektor, Alexander, Cäsar, Rachel, Pallas oder Athene, Judith und andere[13]. Seit Mitte des 16. Jh.[14] haben sich in Kartenspielen die Namen der Könige David, Alexander, Cäsar und Karl des Großen etabliert; für die Damen waren dies Rachel, Regina, Pallas und Judith; Hektor, Lanzelot, Roland und Holger waren die Namen der Buben.  

Soweit bekannt, gab es vier verschiedene Farben von Spielkarten, jedoch variierten diese im Laufe der Zeit und von Land zu Land. Bei den ältesten Karten waren dies Becher, Münzen, Schwerter und Stäbe oder Stöcke. In Spanien werden diese Symbole bis heute verwendet, in Frankreich dagegen werden seit dem 2. Viertel des 15. Jahrhunderts Herz, Pique, Kreuz und Karo gebraucht[15]. Auch heute ist dieses Symbolsystem in Europa weit verbreitet, unter anderem auch in Lettland.  

Unter Forschern und Sammlern werden diese als französische Karten bezeichnet. Um das 15. und 16. Jahrhundert wurde Frankreich zum einflussreichsten Kartenhersteller Europas[16]. Eine typische Stilistik wiesen französische Karten des 18. und 19. Jahrhunderts auf, die wahrscheinlich von einem Gesetz aus dem Jahre 1701 bezüglich konkreter Kartendesigns in jeder der neun Regionen Frankreichs, in denen diese hergestellt wurden, beeinflusst worden war[17]

Hiermit entstanden chrestomathische Gestalten, die langfristig ein ähnliches Aussehen bewahrten.  Im Laufe der Zeit wurde der Pariser Typ (Portrait de Paris) am beliebtesten. Der französische Kartentyp gelangte außerhalb der französischen Grenze zuerst nach England, später auch nach Amerika und Russland[18].  Im 19. Jahrhundert war England einer der größten Kartenexporteure für den russischen Markt[19]. Nach Russland gelangten Karten auch über Belgien und Deutschland, wohin im 16. Jahrhundert Kartenhersteller aus Rouen aufgrund verschiedenster Beschränkungen ausgewandert waren[20]. Unter den ältesten russischen Karten Ende des 18. Jahrhunderts dominierte der französische Typ, teilweise vermischt mit dem deutschen Typen (Berliner Bild)[21].

 

Spielkarten in der Sammlung des Schlossmuseums Rundāle

Während der Renovierung von Schloss Rundāle in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren sowohl im Schloss als auch auf dem umliegenden Gelände viele verschiedene Gegenstände, Zeugen vergangener Zeiten gefunden worden. Ein Teil jener Fundstücke wurde in die Sammlung des Museums aufgenommen, wodurch schließlich eine separate Kollektion entstand: der Fundus des Schlosses Rundāle. Die einzige Gemeinsamkeit dieser Artefakte ist deren Fundort, nämlich dass Schloss und dessen Umgebung, sonst sind sie aber in jeder Hinsicht unterschiedlich, angefangen mit Gipsdekoren, Fragmenten von Fliesen, Holzgeräten bis hin zu Bonbonpapieren vom Anfang des 20. Jahrhunderts, Knöpfen und Stofffragmenten. Das Schlossmuseum Rundāle kann stolz sein auf eine recht umfangreiche Kollektion alter

Kartenspiele, denn Artefakte dieser Art sind in lettischen Museen wenig vertreten. In der Sammlung des Schlosses Rundāle gibt es 20 Arten von Karten und Kartenfragmenten vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Den größten Anteil daran haben Karten, die im 18. und 19. Jahrhundert hergestellt worden sind. Diese sind im zweiten Stockwerk des Schlosses in den Räumen Nummer 77, 95, 98, 124 und 132 und im ersten Stockwerk in den Räumen Nummer 58 und 62 gefunden worden.  

Die ältesten Karten fand man unter dem Boden des Raumes 77, der Kleinen Galerie.  

Da dies der einzige Raum im zweiten Stockwerk des Schlosses ist, in dem die Raumgestaltung der ersten Bauperiode aus den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts erhalten ist, scheint es ganz gerechtfertigt anzunehmen, dass die hier gefundenen Karten aus den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts stammen. Auf der anderen Seite gibt es unter den Fundstücken unter dem Boden auch Zeugnisse aus dem 20. Jahrhundert. Die Karten wurden 1978 am nördlichen Ende der Ostwand gefunden.  

Die Karten und Kartenfragmente stammen aus einem Satz. Auf ihrer Rückseite zeigen sie ein einfaches geometrisches Muster in roter Farbe, in dem sich Reihen von Rhomben mit einem Streifen feiner Pünktchen abwechseln. Bei dem Versuch, Analogien in den digitalen Sammlungen der Museen der Welt und auf Auktionsanzeigen, die im Internet zugänglich sind, zu finden, musste man feststellen, dass ein solches Muster für Karten diverser Länder typisch ist und gewiss nicht als entscheidender Faktor für die Zuordnung von Spielkarten dienen kann. Im British Museum gibt es zum Beispiel holländische Lotteriekarten mit einem ähnlichen Muster, die jedoch viel später datiert sind – 1820[22]. In der digitalen Bibliothek der Nationalen Universität von Kolumbien gibt es dagegen drei Kartensätze eines französischen Blattes aus Belgien, die diese Gestaltung aufweisen, allerdings in dunkelblau oder schwarz, und diese sind datiert auf 1750[23], 1780[24] und 1790[25]

Das Hauptaugenmerk bei der Datierung und dem Vergleichen von Spielkarten wird gewöhnlich doch auf die Vorderseite mit deren Zahlen und Figuren gerichtet. Auf den Fragmenten des Kartenspiels von Rundāle sind die Karo Dame (Rachel), der Karo König (Cäsar), der Karo Bube (Hektor), der Pik König (David), der Pik Bube (Holger), der Kreuz König und der Herz Bube (La Hire, ein Soldat der Jeanne d´Arcs) und mehrere Zahlenkarten zu sehen. David und La Hire sind in der Sockeletage ausgestellt. Auch gibt es noch zwei Fragmente, von denen eins möglicherweise der Herz König, also Karl der Große sein könnte, das zweite gehört zu einer Damenfigur. Interessant ist auch die Tatsache, dass die Karten zerrissen sind. Der Grund dafür ist nicht ersichtlich.  

Diese Fragmente zeigen deutlich die Stilistik eines französischen Blattes des 18. Jahrhunderts auf: groteske und robuste Formen, die Verwendung konkreter Farben (rot, schwarz, gelb und hellblau), die auf einfache Weise mit Hilfe von Schablonen in Xylografie-Technik mit heller Zeichnung aufgetragen sind. Wenn auch in der Beschreibung der Sammlung Russland als mögliches Ursprungsland erwähnt ist, lässt alles Obengenannte doch annehmen, dass diese Karten aus Frankreich oder Belgien kamen. Darauf verweist am direktesten die Verwendung der historischen Personennamen, die man bei englischen, deutschen oder russischen Blättern nicht findet.  

Zwei der Karten, die in der Ausstellung im Billardsaal zu sehen sind, sind nicht zerrissen. Sie stammen aus verschiedenen Kartensätzen. Auf der Kreuzdame (Regina – auf der Karte als Anagramm Argine zu lesen) ist eine einteilige Figur abgebildet, die Herzdame (Judith) dagegen ist eine Spiegelfigur. Spielfiguren wurden später eingeführt, daher ist diese wahrscheinlich jünger als die übrigen Karten und nicht vor der Mitte des 18. Jh. zu datieren[26]. Auch der Stil dieser Karte unterscheidet sich von den vorher beschriebenen. 

Spielkarte – Kreuz Dame (Argine bzw. Regina). 30er Jahre des 18. Jh., Frankreich oder Belgien, gefunden in der Kleinen Galerie
Spielkarte – Herz Dame (Judith). 30er Jahre des 18. Jh., Frankreich oder Belgien, gefunden in der Kleinen Galerie

 

Eine beträchtliche Anzahl an Kartenfragmenten fand man im Raum 132, dem jetzigen Studienkabinett der Schlossgeschichte. Kleine Fragmente und Hinweise zu diesen im wissenschaftlichen Archiv des Museums dienten der Zuordnung weiterer Fragmente figuraler Karten, die im Schloss gefunden worden waren. Diese bilden zusammen eine gemeinsame stilistische Gruppe.   

Auf der Vorderseite der Karten (Avers) waren einst Spiegelfiguren mit ausgesprochen geometrisierten Konturen zu sehen. Bei der Gestaltung der Karten wurden dieselben vier Farben verwendet, auf den Rändern die für französische Karten typischen Aufschriften. Insgesamt wurden in diesem Fund zwei Karo Könige, ein Herz König, vier Herz Damen, eine Pik Dame und ein Bube identifiziert. Die Rückseiten (Revers) ihrerseits sind unterschiedlich. Als Muster sind feine Pflanzenmotive und gepunktete Linien verwendet, die insgesamt typisch für das 18. Jahrhundert und das erste Drittel des 19. Jahrhunderts sind.   

In diesem Raum sind auch Kartenfragmente unterschiedlicher Stilistik und Zeit gefunden worden. Wenn man diese zusammenlegt, sieht man einen Teil eines Herz Königs. Wenn man ähnliche Funde miteinander vergleicht, kann man mehr über jenen Kartensatz erfahren. Ein Pik König, der in einem anderen Raum des Schlosses gefunden worden ist, ist in zwei Teile geteilt und visuell dem Herz König ähnlich. Im Schloss wurde auch ein stilistisch ähnlicher Karo Bube gefunden, der im Billardsaal ausgestellt ist. Bei der Suche analoger Karten in digitalen Datenbanken, stellte sich heraus, dass sich ein Satz solcher Karten in der Nationalbibliothek Frankreichs befindet[27].  Dieser war 1830 in der Kartenfabrik des Imperators in Sankt Petersburg hergestellt worden. Zudem ist die Zeichnung auf dem Revers der Karten auf mehreren in Rundāle gefundenen Exemplaren zu sehen.  

Sowohl im zweiten als auch im ersten Stock des Schlosses (in Raum 58 und Raum 62) sind damals auch Zahlenkarten gefunden worden. Diese Karten sind schwerer zuzuordnen als solche mit Figuren. In der Art der Abbildung der Kartensymbole kann man keine besonderen stilistischen Unterschiede feststellen. Das Einzige, was man möglicherweise feststellen kann, ist der Grad der Feinheit der Zeichnung. Auf älteren Karten kann man nicht selten kräftigere Schablonenabdrücke, Farbverwischungen und andere Unebenheiten bemerken. Diese sind bei den Karten aus Raum 58 und Raum 62 auffällig zu sehen. Das Kreuzsymbol ist bei den Karten aus Raum 58 deutlich kräftiger und robuster, bei den Karten aus Raum 62 sind die Symbole feiner. Aber auch diese Kriterien können täuschen, da auch die Möglichkeiten und geforderte Qualität der Fabriken unterschiedlich waren.  

Bei der Bestimmung einer genaueren Datierung helfen in diesem Falle auch die Zeichnungen auf dem Revers nicht. Wie bereits vorher erwähnt, können sich die Muster in verschiedenen Zeitabschnitten und auch in verschiedenen Ländern wiederholen. Auf älteren Karten sind diese einfacher oder sogar nicht vorhanden. Interessanterweise wurden in älteren Zeiten in Deutschland Karten als Brief oder Spiel-Brief bezeichnet. Dieser Begriff stammt möglicherweise aus der Zeit der Kreuzzüge, als deutsche Ritter ihren Familien Briefe auf arabischen Karten schrieben, deren Rückseite weiß war[28]. Auch in der Sammlung des Schlosses Rundāle gibt es mehrere Exemplare mit farblosem Revers.  

Spielkartenfragmente – Kreuz, Karo und Pik Sechs (?). Mitte des 18. – Anfang des 19. Jh., gefunden in Raum 98
Fragment einer Spielkarte – Pik Neun. 30er Jahre des 18. Jh. (?), gefunden in der Kleinen Galerie

 

Zwei Exemplare der Kartensammlung des Schlossmuseums Rundāle verdienen besondere Erwähnung. In der Ausstellung in der Sockeletage gibt es zwei Karten, die aus der Zeit zwischen den Weltkriegen stammen, diese waren 1983 in Raum 95 gefunden worden.  Diesen Satz hatte das Lettische Rote Kreuz herausgegeben. In der Zeit zwischen den Weltkriegen gab das Lettische Rote Kreuz mehrere Kartensätze heraus. Der erste nationale Kartensatz wurde 1921 erstellt und von Rihards Zariņš (1869–1939) gestaltet[29]. In den Bestimmungen für Spielkarten von 1922 wurde festgelegt, dass ´das Recht, in Lettland Spielkarten zu entwerfen, einzuführen und zu verbreiten, allein der Verein Lettisches Rotes Kreuz zusteht´[30]. Also hatte das Lettische Rote Kreuz hier ein Monopol. 

Die beiden Karten aus der Sammlung des Schlossmuseums Rundāle stammen aus einem weniger teuren Blatt[31] von 1936, dessen Design der Graphiker Alfrēds Švedrēvics (1887–1979) entworfen hatte[32].  

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass das Lettische Rote Kreuz 1936 insgesamt mehr als 98.000 Kartenspiele verkauft hat[33]. Dieser Satz ist verhältnismäßig oft auf Versteigerungen und in Sammlungen anderer Museen zu finden. Bei der Gestaltung der Karten verbindet der Künstler die für die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts in Lettland typischen Themen des Nationalen Romantismus mit einer stilisierten Form des eleganten Art Déco. Die Abbildungen der Figurenkarten sind klar zu erfassen, dazu hat Švedrēvics geschickt die Komposition der Spiegelbilder gelöst, deren Details rhythmisch interagieren. In der Sammlung des Schlosses Rundāle sind von einem solchen Satz die Herzdame und der Pik Bube vertreten. Da im Lettischen sowohl der König (kungs) als auch der Knappe (kalps) denselben Anfangsbuchstaben haben, wurde der Bube zu einem Diener (sulainis), was man an dem Buchstaben S in der Ecke der Karte sehen kann.   

Wie kamen die Karten ins Schloss?  

Die Kartenfunde sind wahrscheinlich mit wiederholten Bau- und Renovierungsarbeiten zu erklären. Die ältesten der im Schloss gefundenen Karten haben möglicherweise Bauarbeiter in der ersten Bauphase von 1736 bis 1740 gespielt[34]. Das bedeutet, dass die Karten, die man in der kleinen Galerie gefunden hatte, wahrscheinlich auf diesen Zeitraum zu datieren sind. Die Karten dagegen, die im zweiten Stockwerk des Schlosses (aber nicht in der kleinen Galerie) gefunden worden waren, könnten sich auf die zweite Bauphase, also auf die 60er Jahre des 18. Jahrhunderts beziehen, als anlässlich Herzogs Ernst Johanns Rückkehr aus der Verbannung Einrichtungsarbeiten in den Räumen vorgenommen wurden.  

Einige gefundene Fragmente könnten sich auf den Anfang des 19. Jahrhundert beziehen, besonders auf die Zeit von Napoleons Einzug in Russland. In der kurzen Zeit der Besetzung wurde das Schloss in ein Lazarett verwandelt, geplündert und das Interieur zerstört. 1813 wurde es erneuert, als das Schloss bereits dem russischen Fürsten (Knyaz) Platon Zubov gehörte[35]. Während dieser Bauarbeiten fanden die Arbeiter möglicherweise auch genau wie im 18. Jh. Zeit zum Kartenspielen.  

Ebenso kann man die Hypothese erstellen, dass die Ziffernkarten, die im ersten Stockwerk des Schlosses gefunden worden waren, mit den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts in Verbindung stehen. Unter den Fußboden gelangten sie wahrscheinlich, als man dort Wohnräume für den neuen Besitzer Šuvalov einrichtete[36], denn es ist bekannt, dass der Bodenbelag ausgewechselt wurde[37].  Im Ostflügel des Schlosses, wo sich Raum 95 befindet, waren in der Zeit zwischen den Weltkriegen die Hauptschule von Rundāle und Wohnräume eingerichtet. In der Jahresbilanz der Denkmalverwaltung von 1932 ist erwähnt, dass sich in diesem Raum eine Wohnung befand. In den 30er Jahren wurden Ausbesserungsarbeiten am Boden vorgenommen, infolgedessen Karten unter den Bodenbelag gelangen konnten.  

Der Erhaltungszustand der Spielkarten in der Sammlung des Schlossmuseums Rundāle ist nicht gut, denn das Papier, das lange im Bauschutt gelegen hatte, ist verschimmelt und von Nagetieren angefressen. Viele Fragmente waren aus unerklärlichen Gründen zerrissen oder zerschnitten. Und dennoch sind es interessante Zeugen aus vergangener Zeit, und eine gründliche Erforschung kann eigentümliche Entdeckungen bieten.  

 

Text: Dzintra Spradzenko 

Forscherin der Abteilung Sammlungen und wissenschaftliche Forschung des Schlossmuseums Rundāle 


[1] E. von der Recke, Kādas Kurzemes muižnieces atmiņas [Erinnerungen einer kurländischen Edelfrau]. Aizpute, Harro von Hirschheydt, 2004, S. 254.

[2] Sachen, die zu verauctioniren sind // Rigische Anzeigen Nr. 29. – 20.06.1786, S. 281.

[3] Beal, G. Playing Cards and their Story. New York: Arco Pub. Co. 1975, S. 8.

[4] Singer, S. W. Researches into the History of Playing Cards; with Illustrations of the Origin of Printing and Engraving on Wood. London: R. Triphook 1816, S. 7.

[5] Van Rensselaer, J. K. The Devil’s Picture-Books: a History of Playing Cards. New York: Dodd, Mead and Co. 1890, S. 7.

[6] Beal 1975, S. 10.

[7] 7 Willshire, W. H. A Descriptive Catalogue of Playing and Other Cards in the British Museum, Accompanied by a Concise General History of the Subject and Remarks on Cards of Divination and of a Politico-Historical Character. London: Printed by Order of the Trustees 1876, S.13. Es ist anzunehmen, dass sich die Rechnung in den Nationalarchiven Frankreichs (Archives nationales de France) befindet.

[8] Beal 1975 S. 7.

[9] Willshire 1876, S. 13.

[10] Ebenda, S. 18.

[11] Husband, T.: Before Fortune-Telling: The History and Structure of Tarot Cards. April 8, 2016. Onlineverfügbar auf https://www.metmuseum.org/perspectives/tarot-2 (Stand 03.03.2025.)

[12] Willshire 1876, S. 28.

[13] Ebenda, S. 30.

[14]  Van Rensselaer, J. K. The Devil’s Picture-Books: a History of Playing Cards. New York: Dodd, Mead and Co. 1890, S. 143.

[15] 15 Willshire 1876, S. 30. In Quellen wird erwähnt, dass sich im französischen Spielkartenmuseum Karten nach dem sogenannten Pariser Typ von 1510 befinden. Online verfügbar: https://i-p-c-s.org/pattern/PS112.pdf (Stand 19.02.2025). The International Playing-Card Society. Paris Pattern. 2018. – Online verfügbar: https://i-p-c-s.org/pattern/PS112.pdf (Stand 19.02.2025).

[16] Beal 1975, S. 45.

[17] Hoffmann, D., The Playing Card; an illustrated History. New York: Graphic Society 1973, S. 31.

[18] Ebenda, S.32-33.

[19] Ebenda, S.33.

[20] Benham, W. G., Sir. Playing Cards: History of the Pack and Explanations of its many Secrets. London: Spring Books 1931, S. 12.

[21] Beal 1975, S. 67.

[22] Online verfügbar auf: https://www.britishmuseum.org/collection/object/P_1896-0501-457 (Stand 24.02.2025).

[23] Online verfügbar auf: https://dlc.library.columbia.edu/field_playing_cards/10.7916/D8T74135 (Stand 24.02.2025). 

[24] Online verfügbar auf: https://dlc.library.columbia.edu/field_playing_cards/10.7916/D83N3M20 (Stand 24.02.2025).

[25] Online verfügbar: https://dlc.library.columbia.edu/field_playing_cards/10.7916/D82N6JWR (gesehen am 24.02.2025).

[26] Quellen belegen, dass zweigeteilte Figuren erst Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts auftraten, in der digitalen Bibliothek der Nationalen Universität von Kolumbien jedoch gibt es Beispiele von Karten des französischen Typs aus den 50er Jahren des 18. Jahrhunderts. Online verfügbar auf: https://dlc.library.columbia.edu/field_playing_cards/10.7916/D8T74135 (Stand 24.02.2025).

[27] Online verfügbar auf: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b10533333q/f49.planchecontact.r=cartes%20%C3%A0%20jouer (Stand 25.02.2025).

[28] Van Rensselaer 1890, S. 85.

[29] Latvijas Sarkanā krusta pārskats par 1921. gadu // Apskats: Latvijas Sarkanā Krusta žurnāls. [Geschäftsbericht des Lettischen Roten Kreuzes für das Jahr 1921. In: Magazin des Lettischen Roten Kreuzes], Nr. 2 (15.04.1922), S. 7.

[30] Likumu un valdības rīkojumu krājums [Sammlung von Gesetzen und Regierungserlassen], Nr. 19 (10.10.1922), S. 392.

[31] Loteriju nodaļas darbība 1936. gadā // Apskats: Latvijas Sarkanā Krusta žurnāls [Tätigkeiten der Lotterieabteilung im Jahr 1936. In: Magazin des Lettischen Roten Kreuzes], Nr. 32 (01.03.1937), S. 9.

[32] Die Autorin dankt dem Heimatmuseum Kuldīga für diese Information.

[33] Loteriju nodaļas darbība 1936. gadā // Apskats: Latvijas Sarkanā Krusta žurnāls [Tätigkeiten der Lotterieabteilung im Jahr 1936. In: Journal des Lettischen Roten Kreuzes], Nr. 32 (01.03.1937), S. 10.

[34] Lancmanis, I., Rundāles pils I. Vēsture. Rundāle: Rundāles pils muzejs, 2015, S.48.

[35] Ebenda, S. 172.

[36] Ebenda, S. 186, S. 194.

[37] Wissenschaftliches Archiv des Schlossmuseums Rundāle.

27.05.2025

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